Antequera – Felsen, Steine, Monumente …

Zur Vorbereitung einer anstehenden ganztägigen Exkursion durch das vielfältige Hinterland Málagas brach ich kürzlich nach Antequera auf, dem Herzen Andalusiens, im geographischen – und weiteren – Sinne. Doch der Reihe nach.

Lage! Lage! Lage! Ebenjene, seine Lage, spielte für diesen Ort schon immer die zentrale Rolle, und zwar bereits bevor die Römer sich in Anticaria strategisch günstig nieder- und ihre zahlreichen Spuren hinterließen. Denn bis weit vor die Römerzeit, bis ins dritte vorchristliche Jahrtausend, reichen die frühesten Spuren menschlicher Besiedlung zurück. Und was für welche.

Ich meine die Dólmenes de Antequera, steinzeitliche Grabanlagen (wegen ihrer hühnenhaften Dimensionen gerne Hühnengräber genannt), die sich hier von Ferne jedoch eher bedeckt halten – und zwar buchstäblich. Schließlich sind die gigantischen Felskonstruktionen der Grabanlagen von ihren zugehörigen und eigens dafür von Menschenhand angelegten sanften Erdhügeln bedeckt (und haben somit auf den ersten Blick wenig hühnenhaftes).

AntequeraDolmenMenga

Dolmen de Menga

Die insgesamt drei voneinander getrennten monumentalen Grabanlagen liegen am nördlichen Ortsrand Antequeras (dort, wo die Stadt in die gleichnamige Ebene, die Vega de Antequera, übergeht), zwei von ihnen dicht beieinander (Dolmen de Menga und Dolmen de Viera) und beim dafür im Jahre 2007 eingerichteten Besucherzentrum, die dritte (Tholos de El Romeral) etwas abseits, doch ebenfalls für Besucher zugänglich. Der recht idyllisch wirkende und ganz bewusst so von mir eingefangene Fotoeindruck täuscht etwas. Denn die hier unmittelbar am Stadtrand beginnende fruchtbare Ebene trägt nicht mehr nur die Früchte traditioneller Agrargebiete, sondern in zunehmendem Maße solche moderner Gewerbegebiete (zu beidem später mehr), so dass die ganze Szenerie bisweilen etwas im Wortsinne anachronistisches hat.

AntequeraDolmenRomeral

Tholos de El Romeral

Trotz ihrer Dimensionen in Zeit und Raum, d.h. ihres Alters von tausenden von Jahren sowie der Ausmaße und schieren Masse einzelner Megalithen von bis zu 180 t (!), mögen die Anlagen möglicherweise wenig spektakulär erscheinen. Oder, um ein berühmtes Heine-Bonmot zu entwenden: Große, kleine – viele Steine – Aussicht keine. (Heine notierte 1824 nach einer nebeligen Besteigung des Brockens im Harz in das Gipfelbuch: Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine.)

Doch sind es sowohl die Dimensionen und Konstruktionsmerkmale dieser Grabanlagen, die sie unter vergleichbaren steinzeitlichen Bauwerken und Kultstätten in ganz Europa hervorheben, als auch ihre besondere ‚Aussicht‘ bzw. Orientierung, die einzigartig sind, und nicht zuletzt die UNESCO im Jahr 2016 dazu veranlassten, sie in die Liste des Kulturerbes der Menschheit aufzunehmen. Denn diese speziellen Grabanlagen orientieren sich – anders als andere vergleichbare – an einer irdischen Landmarke, wenn auch nicht an irgendeiner, sondern an einer recht besonderen und weithin sichtbaren Laune der Natur in Form eines freistehenden pittoresken Felsens in unmittelbarer Nähe: La Cara del Indio (das Antlitz des Indianers) bzw. El Indio de Antequera (der Indianer von Antequera) – oder auch La Peña de los Enamorados (der Felsen der Liebenden).

AntequeraCaraIndio

Osterinselhafte Aussicht auf La Cara del Indio – La Peña de los Enamorados

Die erste Bezeichnung erschließt sich bei passender Perspektive und Sonneneinstrahlung unmittelbar, da dann dieser Felsen die Kontur eines friedlich liegenden gigantischen Indianergesichtes annimmt. Die zweite ist weniger augenfällig, und entspringt einer Art andalusischen Romeo&Julia-Legende, einer ebenso unmöglichen wie tragischen Liebe (hier zwischen einer musulmanischen Prinzessin und einem christlichen Jüngling), die sich auf der Flucht mit einem gemeinsamen Sprung von ebendiesem Felsen ins Nichts und in den Tod ihren Häschern und ihrer Unmöglichkeit entzog – und sich damit für die Nachwelt legendär verewigte und am Leben hielt.

Dieses Naturmonument ist ebenso wie das des nahegelegenen Naturparks El Torcal de Antequera (siehe Blogbeitrag, und Ausflugsprogramm) gemeinsam mit den Dólmenes 2016 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen worden, so dass es in und um Antequera aktuell insgesamt fünf Weltkulturerbestätten gibt, drei Kultur- und zwei Naturdenkmäler.

Womit wir wiederum bei der besonderen Lage Antequeras sind. Denn Antequera liegt unmittelbar am Nordrand des gleichnamigen bogenförmigen Kalksteinmassivs, La Cordillera Antequerana bzw. El Arco Calizo Central Malagueño, das sich im Norden der Provinz Málaga auf einer Länge von ca. 50 km von Osten nach Westen erstreckt. Diese Gebirgsformation hält neben dem Torcal de Antequera noch zwei weitere geologische Attraktionen bereit: an ihrem östlichen Ende die Quelle des Flusses Guadalhorce Los Cien Caños, und an ihrem westlichen Ende die durch den Guadalhorce geschaffene spektakuläre Schlucht El Desfiladero de los Gaitanes mit dem Caminito del Rey (siehe Blogbeitrag, und Ausflugsprogramm).

Dieser Gebirgszug bildet eine natürliche Barriere und trennt geographisch und klimatisch die Küstenregionen der Provinz Málaga im Süden von der Hochebene Antequeras im Norden. Der wichtigste Pass, El Puerto de las Pedrizas, liegt nahe Antequera, so dass diese Gegend gleichsam das zentrale Hauptnadelöhr zwischen dem Norden und Süden, dem Landesinnern und der Küste Andalusiens bildet. Ein anderer und vor allem historisch bedeutsamer Pass, El Puerto de los Alazores, verbindet nahe der Cien Caños die Provinzen Málaga und Granada miteinander. Am südlichen Abschnitt dieses Passes warten zwei weitere Sehenswürdigkeiten: das einzigartige und pittoreske Hochtal rund um die Bergdörfer Alfarnate und Alfarnatejo, und die Venta de Alfarnate, die älteste noch existierende Venta (Raststätte) ganz Andalusiens.

Bizarres Bergland rund um Alfarnate und Alfarnatejo - im Hintergrund die Costa del Sol

Bizarres Bergland bei Alfarnate und Alfarnatejo – am Horizont (rechts) die Costa del Sol

Entlang des Nordrandes dieser Barriere, und somit durch die Hochebene Antequeras selbst, fließt der Guadalhorce (bis er abrupt beim Desfiladero de los Gaitanes gen Süden abbiegt, um schließlich bei Málaga ins Mittelmeer zu münden). Das Gebiet rund um Antequera wird entsprechend durch diesen Fluss bewässert und ist daher außerordentlich fruchtbar und seit Menschengedenken Siedlungsgebiet. Der Guadalhorce ist auch die einzige natürliche Entwässerung der Hochebene, so dass sich hier Binnengewässer in Form von Lagunen bilden können. Die größte liegt rund 25 km von Antequera entfernt und ist eine weitere Attraktion dieser Region, die Laguna de Fuente de Piedra mit ihren Flamingos.

Die Hochebene Antequeras erstreckt sich rund 60 km nach Norden bis zur Gebirgsformation Cordillera Subbética im Süden der Provinzen Sevilla und Córdoba. Dort, in den Sierras Subbéticas Cordobesas, befinden sich nicht nur der gleichnamige sehenswerte Naturpark und (bei Iznájar) der größte Stausee Andalusiens, sondern auch sehenswerte Orte wie Baena, Zuheros, Cabra und Priego de Córdoba (siehe Blogbeitrag). Und dort, im Süden der Provinz Córdoba, befindet sich dann auch das tatsächliche Zentrum bzw. Herz Andalusiens – zumindest im streng geographischen Sinne.

Weniger streng geographisch gesehen gilt jedoch Antequera zurecht als das Herz Andalusiens. Nur hier kreuzen sich zentral aus allen vier Himmelsrichtungen und seit ewigen Zeiten die bedeutendsten Verkehrswege Andalusiens. Denn Antequera liegt nahezu mittig zwischen den damals wie heute größten und wichtigsten Städten und Regionen Andalusiens, zwischen Córdoba im Norden und Málaga (und dem Mittelmeer) im Süden, zwischen Granada im Osten und Sevilla (und dem Atlantik) im Westen. Waren es seinerzeit römische und arabische Wege und Festungen, die strategisch günstig und bedeutend lagen, so sind es heute moderne Verkehrstrassen (Autobahnen und Eisenbahnstrecken) und Umschlagplätze (Gewerbegebiete und Logistikzentren) – mit der oben erwähnten anachronistischen Szenerie.

Aus der zentralen strategischen Lage und Bedeutung Antequeras im Herzen Andalusiens ergab sich auch ihre damalige militärische und somit politische Bedeutung für ganz Andalusien. Aus heutiger historischer Sicht war Antequera nach Navas de Tolosa (bei Jaén) Schauplatz eines weiteren Schlüsselereignisses in der Auseinandersetzung um die christliche bzw. die muslimische Herrschaft auf der iberischen Halbinsel, die schließlich mit der kampflosen Übergabe Granadas 1492 ihr Ende zugunsten der christlichen Könige (Los Reyes Católicos) fand.

Antequera besaß entsprechend ihrer strategischen Bedeutung eine mächtige und mehrfach verstärkte Festungsanlage (Alcazaba), von der aus sich die Stadt und das umliegende Gebiet – eben das Herz Andalusiens – wirkungsvoll kontrollieren ließen. Gut zwei Jahrhunderte lang scheiterten alle christlichen Eroberungsversuche und war Antequera mit ihrer Festung ein unüberwindbares Hindernis für das weitere Vordringen des christlichen Herrschaftsbereiches.

Die seinerzeit unbezwingbare Südseite der Alcazaba (Festung) Antequeras

Die seinerzeit unbezwingbare Südseite der Alcazaba (Festung) Antequeras

Im Jahr 1410, und damit fast genau 200 Jahre nach der für das Kalifat der Almohaden in Al-Andalus verheerenden Schlacht bei Navas de Tolosa, die den christlichen Reichen Spaniens den Zugang zum Kerngebiet von Al-Andalus (dem heutigen Andalusien) sicherte, gelang dem Heer unter Ferdinand I. von Aragón die Eroberung Antequeras. Die Dimension dieses Ereignisses ist kaum zu überschätzen. Denn in der Beseitigung dieses bedeutenden Hindernisses auf dem Weg nach Granada lag gleichsam der Schlüssel für den Fall des dortigen Nasriden-Reiches nur 82 Jahre später – und damit für das Ende der fast 800-jährigen arabisch-maurischen Herrschaft bzw. für den endgültigen Sieg der christlichen über die muslimische Herrschaft in Spanien.

Plaza del Carmen an der (bezwingbaren) Nordseite der Alcazaba

Die (bezwingbare) Nordseite der Alcazaba mit einem Denkmal für die Mauren an der Plaza del Carmen

An der heutigen Plaza del Carmen, dem Ort des – buchstäblich – entscheidenden Durchbruchs durch die einzige Schwachstelle der bis dahin unbezwingbaren Festungsanlage Antequeras, steht heute ein Denkmal für die maurischen Bewohner der Stadt, die nach der Eroberung nach Granada flüchteten (trotz der insbesondere touristischen und damit wirtschaftlichen Bedeutung des Kulturerbes von Al-Andalus sind solche eigens dafür errichtete Denkmäler eher selten).

Die Dimension des Ereignisses der Eroberung Antequeras ist jenseits der nach wie vor imposanten Alcazaba im historischen Teil der Stadt nahezu allgegenwärtig. Schließlich setzten sich die nunmehr herrschenden christlichen und weltlichen Autoritäten recht augenfällig zahlreiche Denkmäler. Antequera ist nicht ohne Grund berühmt für ihre (selbst für andalusische Verhältnisse) vielen Kirchenbauten und für ihre vielen Adelspaläste (später auch Bürgerpaläste) aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, der Epoche der Renaissance und des Barock in Spanien. Der bedeutendste Kirchenbau Antequeras, die Real Colegiata de Santa María la Mayor, wurde zwischen 1514 und 1550 im Stile der Renaissance (mit gotischen Elementen) errichtet, prominent und entsprechend symbolträchtig unmittelbar neben der Alcazaba.

Blick durch den Arco de los Gigantes auf die Real Colegiata

Blick durch den Arco de los Gigantes auf die Real Colegiata de Santa María direkt neben der Alcazaba

Die zentrale Lage Antequeras im Herzen Andalusiens spielte auch in der jüngeren Geschichte eine Rolle, nicht nur wie bereits erwähnt als wirtschaftlicher Standort, sondern auch als politischer Schauplatz. Im Zuge der europaweiten Bewegungen des Nationalismus im 19. Jahrhundert galt Antequera mit seiner (im doppelten Sinne) vermittelnden Lage zwischen den historischen und politischen Schwergewichten Andalusiens, sowie zwischen dem östlichen und dem westlichen Andalusien, als der geeignete und zentrale Ort, auf den sich alle zur Begründung einer nationalen andalusischen Identität verständigen können sollten. Zumindest wurde 1883 in Antequera eine verfassungsgebende Versammlung einberufen und eine andalusische Verfassung verabschiedet (die sog. Verfassung von Antequera, La Constitución de Antequera), die Andalusien als Staat innerhalb eines föderalen spanischen Staates begründen sollte. Fast ein Jahrhundert später, 1978 und unmittelbar nach dem Ende der Franco-Diktatur, stand Antequera erneut im Mittelpunkt der politischen Bewegungen in Andalusien. Zum einen schlossen die politischen Parteien Andalusiens in Antequera einen Pakt (El Pacto de Antequera), um auf dem schnellsten Wege für Andalusien den Status als Comunidad Autónoma (entspricht etwa einem deutschen Bundesland) zu erlangen. Zum anderen wurde Antequera als Hauptstadt dieses autonomen Andalusiens vorgeschlagen (auch wenn die Hauptstadt Andalusiens schließlich doch Sevilla wurde).

Nachfolgend einige Kontakt-Informationen:

Besucherzentrum Conjunto Arqueológico Dólmenes de Antequera
Webseite

Alcazaba und Real Colegiata de Santa María
Webseite (EN)

Turismusbüro Antequera
Webseite

Hotel und Restaurant Castilla
C/ Infante Don Fernando, 40 , 29200 Antequera
+34 952 84 30 90
Webseite (EN)

Restaurant Venta de Alfarnate
Antigua Ctra. Málaga-Granada Km.513 S/N, CP 29194
+34 952 75 92 88
Webseite (ES)

2 Kommentare
  1. spanrev
    spanrev sagte:

    Chapeau! Wirklich ein toller und langer Artikel. Kllingt cool und macht Laune, darauf – muss ich mir auch mal anschauen. Aber ich denke, dass die Grabhügel, die du beschrieben hast, nicht aus der Steinzeit sind. Das sind keltische (respektive iberokeltische) Überbleibsel – also in der Zeit bevor die Römer das Land erobert haben. Ich denke Ende Bronze- Anfang Eisenzeit.

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